ode an die öde

denk ich
in hoffnungslosem fernweh
an die stadt
die meine ganze liebe hat

geh ich
in schwimmenden gedanken
zu dem ort
der mir zu hause war und hort
wein ich
in abgrundtiefen nächten
um die leut‘
die in noch dunkleren tagen als heut‘
um ideale fechten
deren existenz wie ausradiert
mit phrasen überschmiert
und hochglanz aufpoliert
sich obere zehntausend
mit wollust an die fahne binden
doch diese drehen in den winden
um glatte wege zu begründen
und himmelreiche zu verkünden
die leider immer wieder beifall finden

die menschen bis zur aufgabe schinden
unsichtbar hinter stacheldraht verschwinden
diese und auch andere sünden
einer welt ohne götter und glaube
wie geschaffen für blinde und taube
werkzeuge einer machtgeilen clique
die sich allerdings feste stricke
um die eigenen hälse schnürt
und die geschundene masse führt
ein mittel zu finden das gebührt
den verbrechern die jahrzehnte geschürt haben
hass und verleumdung aus neid
und brachten hunderttausenden leid
zu beenden diese verkaufte zeit
soll es niemanden geben wie heut‘
der seine stadt verläßt
und nicht bereut den schoß seiner jugend zu meiden
denn lieber in der fremde zu leiden
unter der einsamkeit den schmerz zu bekleiden
vielleicht ohne heimatgefühl anstatt
beiwohnend dem tod seiner stadt
ohmächtig und matt
von ferne mitansehen zu müssen
dabei verstand und gewissen
ignorierend sie selbst dem tod übergibt
weil nichts anderes blieb
was von ewigkeit zeugte
und erinnerung auf dauer
so bleibt mir nur eine trauer:
mein leipzig ich liebe dich sehr
und brauchen werd ich dich umsomehr
weil man mein herz aus dir gerissen hat
meine zu tode gefolterte heimatstadt

*Hier klicken zum Start des Gedichtbandes -> “Kopfgeburt - mit der Glocke am Kragen” von Jens Thieme, 1992.
Jens Thieme

Playing hard, living loud, moving around fast, resting deep and enjoying it all.

https://jens.thie.me
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