dann

auf des egoberges gipfel stand

ich freihand wider zuchtverstand

schneller fuss vom tale fern

blicke schnuppernd hin zum stern

dem schönen falschen widerstand

sonnenblend verhimmelt toll

gierig wuchsen augen voll

mit allerlei verteufelt ding

und meines leibes unterfing

sich sach und gut was jeder soll

satt genuss trug taumel her

gierig aug‘ sog herz mir leer

straucheltanz dem abgrund zu

gen tal verlor für immer ruh‘

und gier nach immermehr und immermehr

dumpfen schlags erweckt mich wind

der dick und warm mich wiederfind‘

und stupst mich in die seiten gar

und streichelt mich ganz wunderbar

als altes neues heimatkind

im tal dem schönen

dort singen vögel tirilili den abend müde

dort greifen kinder im tanz nach der sonne

dort schlüpfen flinke tierchen aus dem fruchtbaren boden

dort sucht mich eine zärtliche hand in fiebernder nacht

dort kenne ich euch - menschen ihr seid mir ähnlich schwach

dort küssen sich fremde mitten ins gesicht

dort kullern tränen aus grossen neugierigen augen

dort werden herrliche babys geboren mit prallen bäckchen

dort wiegen sich uralte wälder im passat

dort duften speisen für alle zum himmel

dort fangen sich verspielte rehkitze auf hellen lichtungen

dort rauscht das wasser köstlich klar mundfrisch vom berg

dort reichen sich andere helfend die hände

dort schaue ich in die wolken und sehe allerlei märchenhaftes

dort singe ich kinderlieder und habe tränen in den augen

dort haben die mütter die milch für die zappeligen knirpse

dort trägt die zeit unverfälscht ihre male in die weit

dort wächst das brot aus der alten muttererde

dort gedeiht der wein prall in der sonne - umschwirrt von kunterbuntem getier

dort darf ein jeder zu dem anderen kommen

dort fällt man sich nach einem streit um den hals

dort wischt man sich gegenseitig den schweiß vom gesicht

dort sollten wir uns die hände halten

statt droben von unseren gipfeln in dieses tal zu spucken aus angst es käme da einer unseren platz streitig zu machen der doch nichts als einsamkeit bietet

da verkleben machtgeile propheten wege zu den nächsten

da ersticken zerbrechliche tierchen im abfallschleim der profitgier

da reißen sich menschen gegenseitig die leiber auf

da sitze ich jämmerlich nackt in dunkler kälte

da lese ich geile gier in deinen augen

wenn du mich nimmst für eine halbe nacht

da lässt man andersdenkenden die söhne ermorden

da verbrennen sich verzweifelt menschen

da schlachtet man tiere aus lust

da vertrocknen ganze länder

da merkt niemand daß er schon lange zeit am sterben ist und all das mit sich in die bedeutungslosigkeit reisst was uns als kostenlose gaben zum leben überantwortet und für alle zeit als wertvollste basis zum glück beschieden sein sollte

dann sollten wir es halten und hegen

dann sollten wir uns stärken und schützen auf diesem weg

dann werden wir anpacken müssen uns selbst zu überwinden

dann erkennen wir die erblast unserer gemeinschaft

dann werden wir aus verzweiflung mut schöpfen

dann wird erreichtes unsere liebe nähren

dann erst dann sind wir es wert uns diese weit zu vereinnahmen die wir bis in alle ewigkeit vor uns zu schützen haben

auf daß sie es uns danke.

*Hier klicken zum Start des Gedichtbandes -> “Kopfgeburt - mit der Glocke am Kragen” von Jens Thieme, 1992.
Jens Thieme

Playing hard, living loud, moving around fast, resting deep and enjoying it all.

https://jens.thie.me
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